Die Mineralwasserbranche konnte sich auch im vergangenen Jahr wieder über einen steigenden Absatz freuen. Besonders stilles Wasser und Wasser mit Aromazusätzen liegt bei den Konsumentinnen und Konsumenten hoch im Kurs. Hier konnten die Hersteller ein signifikantes Verkaufsplus verzeichnen. Dabei kommt stilles Wasser in Deutschland in einwandfreier Qualität aus dem Wasserhahn. Zu einem Bruchteil der Kosten. Warum entscheiden sich Verbraucherinnen und Verbraucher dennoch so oft für Wasser aus der Flasche?
Fragt man nach, wird der Geschmack als Hauptargument für den Kauf von Flaschenwasser angeführt. Das ist kein Zufall – denn der Geschmack wird vom Anteil der gelösten Mineralstoffe bestimmt und die sind von Sorte zu Sorte, von Quelle zu Quelle verschieden. Allerdings gilt das auch für das Wasser aus der Leitung. Auch das schmeckt von Ort zu Ort verschieden. Bei Blindverkostungen, die viele Wasserversorger auf ihren Events durchführen, wird es meist als gleichwertig bezeichnet oder sogar geschmacklich bevorzugt.
Prof. Dr. Gunnar Mau, Konsumpsychologe und Professor für Marketing und Handel
an der Hochschule Magdeburg-Stendal erklärt dieses Verhalten folgendermaßen: „Erwartungseffekte, der sogenannte „Bestätigungsfehler“ und kognitive Verzerrungen führen dazu, dass die wahrgenommene Qualität mehr zählt als objektive Analysen. Wenn wir glauben, dass Mineralwasser „reiner“ ist, schmeckt es uns auch besser, selbst wenn es dafür keine messbare Grundlage gibt.“
Von Natur aus rein ...
Überhaupt: der Glaube an Reinheit. Auch Trinkwasser stammt in der Mehrheit der Fälle aus geschützten, unterirdischen Grundwasserleitern. Mehr als 70 Prozent aller Verbraucherinnen und Verbraucher bescheinigen ihrem Trinkwasser laut BDEW Kundenbarometer deshalb auch eine ausgezeichnete Qualität. Dennoch werden die Attribute „natürlich“, „rein“, „aus geschützten Quellen“ gern ausschließlich mit Mineralwasser verbunden.
Der Grund liegt im gezielten Marketing. „Grundsätzlich ist Wasser nur Wasser“, sagt Konsumpsychologe Mau, „aber wenn Produkte austauschbar sind, muss man sie mit einer Bedeutung aufladen, die über den eigentlichen Nutzen hinausgeht. Also verbindet man Wasser in der Werbung mit Lebensfreude, einem Gesundheitsaspekt oder regionaler Nähe.“
Ironischerweise liegt die Quelle des eigenen Leitungswassers in der Regel meist viel näher am Wohnort (vorausgesetzt man wohnt nicht direkt neben einer Mineralbrunnenabfüllanlage) und die Lebensfreude steigt, wenn man sich das Kistenschleppen sparen kann.
Auch bei den Mineralstoffen – ebenfalls gern genannt bei der Vorliebe für Flaschenwasser – entbehrt die Argumentation nicht einer gewissen Ironie. Denn viele Trinkwässer aus der Leitung enthalten durchaus hohe Anteile an Mineralien. Allerdings sind Verbraucher*innen anders als beim Flaschenwasser geneigt, Mineralien hier eher als störend zu empfinden. Denn die Mineralien, allen voran Magnesium und Calcium, sind es, die Rückstände auf Oberflächen in Küche und Bad hinterlassen.
Gunnar Mau zählt weitere Verhaltensmuster auf: „Ein zentraler Faktor ist die Macht der Gewohnheit.“ Einmal Flaschenwasser, immer Flaschenwasser. „Dazu kommt ein Effekt, der in der Psychologie als ‚funktionale Gebundenheit‘ bezeichnet wird. Dieses Phänomen beschreibt die Tendenz, Objekte nur für ihre gewohnte Funktion zu verwenden: Wer Leitungswasser nur zum Händewaschen, Putzen, Geschirrspülen oder Duschen verwendet, wird es nicht sofort mit Durstlöschen, Genuss oder Regionalität verbinden.“ Flaschenwasser dagegen wird als Genussmittel wahrgenommen.
Preis spielt unerwartete Rolle
Nun würde man aber annehmen, dass schlussendlich der Preis entscheidet. Doch mitnichten oder zumindest nicht zugunsten des Leitungswassers. Während Wasser aus der Leitung pro Liter für weniger als einen halben Cent zu haben ist (Abwasserkosten bereits eingerechnet), gibt es das Wasser aus der Flasche selbst im günstigsten Fall nicht unter 20 Cent – das Vierzigfache. Statt abzuschrecken, erreicht der hohe Preis das Gegenteil. Er suggeriert Qualität und Luxus, frei nach dem Motto: „Ich kann es mir leisten.“
„Flaschenwasser verkauft ein Gefühl, nicht nur eine Flüssigkeit.“, fasst Prof. Dr. Mau das Verhalten zusammen. Man könnte auch sagen: Es gibt viele Gründe, warum Konsumenten gern zur Flasche greifen, objektiv sind sie selten.
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